Urlaub in Santiago de Chile

Urlaub in Santiago de Chile

Die Luft ist mies und die Architektur gewöhnungsbedürftig. Dafür bezirzt die Millionenstadt Santiago de Chile mit ihrer Farbenlust und hilfsbereiten Menschen. Ein Reisebericht aus der südamerikanische Metropole. 

Santiago de Chile © istockphoto
Santiago de Chile

Wo endet die Welt? Welcher Ort liegt ferner als jeder andere? Die Lösung lautet: die Osterinsel. Oder besser gesagt Rapa Nui, wie das chilenische Eiland eigentlich heißt. Der nächste Ort, von Rapa Nui aus gesehen, ist die Insel Pitcairn, etwas über 2000 Kilometer entfernt. Abgelegener geht es nicht – und genau dahin zieht es mich. Auf Rapa Nui werde ich mir den Hals ausrenken, während ich die berühmten Statuen der Insel ansehe, werde auf das scheinbar unendliche Meer blicken und in den Himmel – und dabei denken, dass ich wohl niemals an diesen abgeschiedenen Platz zurückkehren werde. Seltsam.

New York Cirty trifft auf spanische Kleinstadt

Doch noch bin ich nicht da. Auf dem Weg nach Rapa Nui lege ich einen Zwischenstopp in Santiago de Chile ein, der Hauptstadt des Landes. Santiago wirkt auf mich, als hätte man New York mit einer spanischen Kleinstadt gekreuzt, das Ganze in ein Tal nahe der schneebedeckten Anden fallen lassen, mit einem Hauch von Ostblockcharme bestäubt, eine Smogdecke darübergelegt und wäre zufrieden davongestiefelt.

Ich wandere durch zugige Straßenschluchten und über sonnenbeschienene Plätze und sauge Eindrücke auf wie ein Staubsauger die Wollmäuse unterm Sofa: Designhotels stehen neben verstaubten Herbergen, ein paar verbliebene Kolonialbauten schmiegen sich an Wolkenkratzer. Überhaupt scheinen die Chilenen sehr stolz auf ihre hohen Gebäude zu sein. Im Geschäftsviertel schießen die Konstruktionen aus Glas und Stahl wie Pilze aus dem Boden, an fertigen Fassaden hängen Gebäudereiniger in luftigen Höhen und wienern schimmernde Flächen. Im Kontrast dazu sitzen in dem Park Cerro Santa Lucía knutschende Pärchen. Mauern und Kakteen sind mit eingeritzten und aufgemalten Herzen übersät, in jeder Sprache wird die Liebe beschworen. Leicht übergewichtige Straßenhunde halten auf den Bürgersteigen Siesta, auf der Plaza de Armas spielen alte Herren Schach. Kinder toben durch Taubenschwärme, Hunde durch Kinderschwärme, die Sonne blinzelt golden und staubig durch Kirchtürme und Glasfassaden.

Kulturell ganz weit oben

Nach einem halben Tag bekomme ich eine Ahnung, warum die „New York Times“ und „Lonely Planet“ diese Stadt auf die Liste von Orten setzte, die man unbedingt besuchen muss. Ein Grund ist die Kultur- und Farbenlust, die sich in Santiago seit Kurzem Bahn bricht. Neben Klassikern wie der chilenischen Nationalgalerie Museo de Bellas Artes eröffnen neue Häuser wie das Museo de la Memoria, das an die Militärdiktatur unter Augusto Pinochet von 1973 bis 1990 erinnert. Dazu entstehen in der Metropole quirlige neue Viertel wie der Künstler-Stadtteil Bellavista, in dem Restaurants mit farbenfrohen Fassaden leuchten, Boutiquen und Cafés locken und Studenten abends Unmengen von Bier vertilgen. Keine Frage: Santiago erfindet sich nach der 17-jährigen grauen Diktatur neu. Allerdings entdecke ich noch einen anderen Grund, der die Metropole anziehend macht: Kaum starre ich ratlos auf meinen Stadtplan, fragt jemand, wo ich hinmöchte. Ob ältere Dame oder Bürohengst – jeder scheint hier orientierungslosen und leicht verwirrten Touristen wie mir helfen zu wollen. In einer fremden Stadt mit sechs Millionen Einwohnern Gold wert. Santiago de Chile ist nicht die schönste aller Städte, aber eine der freundlichsten.

Chilenische Osterinsel

Nach zwei kurzen Tagen wird es Zeit, die südamerikanische Metropole zu verlassen und weiterzureisen. Fünf Stunden fliegt man von Santiago bis nach Rapa Nui, dann steigt man aus dem Flieger und atmet die Luft ein. Warm ist es hier. Jetzt stehe ich also auf der Osterinsel. Die wird so genannt, weil der Niederländer Jakob Roggeveen im Auftrag der Westindischen Handelskompanie am Ostersonntag, dem 5. April 1722, mit drei Schiffen dort landete. Heute gehört die Osterinsel politisch zu Chile, liegt aber im Bereich von Polynesien, wie auch Hawaii oder Neuseeland. 5000 Menschen leben hier, die Hälfte von ihnen sind eingeborene Rapa Nui, die andere meist vom Festland zugezogene Chilenen.

Sightseeing

Natürlich will ich die berühmten Tuffsteinfiguren sehen, die Wahrzeichen von Rapa Nui. Moai werden die Monumente genannt, sie wurden aus dem Hang des Vulkans geschlagen, sind zwischen fünf und sieben Meter groß und 40 bis 70 Tonnen schwer. Rund 1000 Stück von den schweren Jungs stehen oder liegen auf der Insel verteilt, viel mehr, als ich dachte. Wir fahren zu der Plattform Ahu Tongariki nahe des Vulkankraters Rano Raraku, weil dort fünfzehn aufrechtstehende Moais zu bewundern sind. Plötzlich denke ich, ich sehe nicht richtig: Auf der Gegenspur kommt ein Reiter auf uns zu, im gestreckten Galopp jagt er das Pferd über den Asphalt. Was ich vergaß: Erst in den 50er-Jahren landete hier das erste Flugzeug, nicht jeder Haushalt ist mit Elektrizität ausgestattet, Autos gelten als Luxus, öffentliche Verkehrsmittel gibt es nicht. Da reitet man schon einmal mit einem Pferd von A nach B.

Ein entspanntes Inselvolk

Überhaupt scheint auf Rapa Nui die Zeit stehen geblieben zu sein. Die meisten Einwohner leben in einfachen Hütten über die Insel versprengt. An einer Hauptstraße finden sich Geschäfte, ein paar Einheimische verkaufen Gemüse vom offenen Wagen und verschwinden wieder in der Einöde. Das Ende der Welt ist leer: Auf einen Quadratkilometer kommen 23 Einwohner, in Deutschland sind es 230. Und der Spruch „In der Ruhe liegt die Kraft“ wurde hier erfunden. Im sogenannten Zentrum zu leben – das ist den meisten viel zu aufregend. Was machen die Menschen hier bloß den ganzen Tag? Baden gehen jedenfalls nicht: In den zwei einzigen Sandbuchten der Insel tummeln sich ausschließlich Touristen.

Dort stehen sie nun. 1500 Jahre sind die Moais etwa alt, jetzt ragen sie vor mir auf wie ein dreistöckiges Haus und werfen lange dunkle Schatten auf das helle Grün. Ich bin ein Floh. Zu ihren Füßen fühle ich mich winzig und unbedeutend. Nichts scheint im Angesicht dieser Wunderwerke unmöglich – Aliens, Ufos, Weltuntergang, Yetis. Die Moais sollen Ahnen sein, eine Verbindung zwischen dem Diesseits und dem Jenseits. Wie riesige düstere Mahnmale recken sie sich in den Himmel und blicken über mich hinweg in die Ferne. Mit einem Mal stolziert zwischen zwei Statuen ein Hahn hindurch. Er bleibt stehen und kräht aus voller Kehle, als ob er auf einem Misthaufen in Dithmarschen stehen würde.

Nicht gerade ein Ureinwohner. Ich denke darüber nach, wie anders es ausgesehen haben muss, als die Statuen errichtet wurden. Dichte Palmwälder bedeckten einst die vulkanische Insel, dann kam der Mensch. Die Polynesier rodeten fast sämtliche Bäume – wahrscheinlich, um die Figuren an ihren Bestimmungsort zu rollen, sie schleppten fremde Tiere und Pflanzen ein – ein ökologischer Super-GAU. Was geblieben ist, sind ihre Steinfiguren, die ungerührt über das kahle Land blicken. Hinter den Moais rauscht das Meer, türkisblaue Wellen brechen sich am schwarzen Vulkanstein, weiße Gischt stäubt ins Blau. Ein paar Einheimische angeln am Meer, wie wahrscheinlich schon vor 1500 Jahren. Das tut man hier also den ganzen Tag. Fischen. Manche Dinge verändern sich nicht.

Ich wende mich ab und wandere über das Gras zurück zum Auto. Wir fahren zum großen erloschenen Vulkan der Insel hinauf, dem Rano Kao. Unser Guide heißt Benito Atan. Benito ist ein echter Rapa Nui, ein Berg von einem Kerl, 26 Jahre alt, Rastafari. Er ist schweigsam wie ein Maoi und tätowiert wie ein Seemann. Wir blicken in den mit Wasser gefüllten Krater hinab. Die Sonne spiegelt sich im grün bewachsenen See. „Am besten ist es, bei Vollmond hier hinaufzugehen“, sagt Benito neben mir. Ich zucke zusammen, so viel Gesprächigkeit hätte ich nicht erwartet. „Wir haben das als Kinder gemacht, als es noch kein Fernsehen und kein Internet gab. Fernsehen haben wir erst seit 1995“, fügt er hinzu. Tja, so ist das. Die Zivilisation macht nicht halt vor dem Ende der Welt. Aber wo das liegt, scheint eh Ansichtssache zu sein. Das Volk der Rapa Nui bezeichnet seine Insel als „Te Pito o te Henua“. Der Nabel der Welt.

Bald ist es Zeit, in meine hektische Welt voller Autos und Stimmen und Lärm zurückzukehren. Auf dem Weg dahin lege ich einen kurzen Zwischenstopp in der Hafenstadt Valparaíso ein, dem kulturellen Zentrum Chiles. Nach düsteren Steinriesen und weiten Ebenen, auf denen Pferde grasen, nun eine quirlige Stadt mit riesigem Hafen und quietschbunten Häuserwänden. Stacheldrahtherzen, Elvisbilder, grelle Graffiti – kein Zentimeter, an dem sich nicht jemand künstlerisch ausgetobt hat. Schnell merke ich: Valparaíso ist nichts für Bewegungsmuffel, da die Stadt sich über eine Vielzahl von Hügeln erstreckt. Während ich im Altstadtviertel auf dem Cerro Alegre die schier endlosen Stiegen und Steigen hinauf- und hinunterwandere, denke ich über Millionenmetropolen nach und über Mahnmale am stillen Ende der Welt. Ich bin seltsam froh über die flüchtige Bekanntschaft mit den stillen Riesen. Wenn das meiste vergessen ist, werde ich mich immer noch an sie erinnern.

GUT ZU WISSEN

ANREISE LAN fliegt täglich von Frankfurt nach Santiago de Chile. Von dort geht es weiter zur Osterinsel, die LAN derzeit als einzige Airline anfliegt. Preis: ab 1386 Euro p. P., www.lan.com

EINREISE UND MEHR Es reicht ein mindestens sechs Monate gültiger Reisepass, dank des halbtropischen Klimas ist immer Saison.

WOHNEN Santiago de Chile Moderner geht es nicht: W Hotel, Isidora Goyenechea 3000, Las Condes. Preise ab 270 Euro pro Nacht. www.whotels.com

Rapa Nui Atemberaubend: Das Explora Rapa Nui ist das einzige 5-Sterne-Hotel der Insel, welches sich dazu der Nachhaltigkeit verpflichtet hat. Das mit Preisen überhäufte Haus bietet ein Paket an, das 3 Nächte im DZ, Ausflüge und Vollpension enthält. Es kostet pro Person ab 1780 Euro. Infos auf: www.explora.com. Zu buchen über: www.artoftravel.de

Valparaíso Boutique-Hotel mit wunderbarer Aussicht und 20 Zimmern: Casa Higueras, Calle Higuera 133. Zimmer ab etwa 160 Euro, www.casahigueras.cl

Hübsches Bed & Breakfast: Hotel Brighton, Pasaje Atkinson 151–153. Zimmer mit Meerblick ab 55 Euro, www.brighton.cl

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