Kann man dann lernen, sich zu lieben?

Kann man dann lernen, sich zu lieben?

Vor dreieinhalb Jahren beschlossen Susanne Wendel und Frank-Thomas Heidrich, sich zu verloben. Nur verliebt waren sie nicht. Wenn man sich nur mag – kann man dann lernen, sich zu lieben? PETRA-Autorin Friederike Schön erzählten die beiden, wie das Herz am Schluss siegte

liebe-nach-plan© andreusK/iStock
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SUSANNE:

Manchmal, wenn wir morgens beim Frühstück sitzen und ich ihn mir ansehe, während ich noch schläfrig an meinem Kaffee nippe, durchfährt mich der Gedanke, und ich muss unwillkürlich grinsen: Wenn ich diese verrückte Entscheidung nicht getroffen hätte, säßen wir jetzt nicht hier. Nicht an diesem Tisch, an dem wir jetzt so selbstverständlich Marmelade auf unseren warmen Toast tropfen lassen. Wäre dieser Mann hier nicht meiner und ich wahrscheinlich immer noch auf der Suche.

Wenn Liebe eine faul macht© mediaphotos/iStock
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Sechs Jahre brauchte ich, um einzusehen, dass mich der Regisseur aus dem handelsüblichen Romantik-Liebesplot rausgeschrieben hatte. Ich fühlte mich wie Aschenputtel in einer Version, bei der kein Prinz auftaucht. Stattdessen kamen die Liebhaber und gingen, der eine wollte keine Kinder, und der nächste, in meinen Augen ein Traumprinz, verließ mich aus heiterem Himmel. Drei Jahre ging das schon so, als ich Frank 2008 auf einem Seminar kennenlernte, wir begannen beide eine Ausbildung als Coach. Ich fand ihn nett (ja, ich weiß, nett ist der kleine Bruder von…!), aufmerksam, ein guter Gesprächspartner.

Keine Schmetterlinge in Sicht

Aber als Mann eine Spur zu langweilig. Keine Schmetterlinge in Sicht. Dafür verstanden wir uns. Wenn jede Frau einen richtig guten Kumpel im Leben braucht, dachte ich mir, dann hatte ich wenigstens den gefunden. „Aber ihr passt doch eigentlich ganz gut zusammen“, bekamen wir öfter zu hören. Mochte ja sein. Frank wohnte in Düsseldorf und ich in München, aber wir sahen uns immer wieder auf Fortbildungen oder auf Partys, und wir telefonierten regelmäßig. Als Team funktionierten wir. „Den rufe ich an, wenn ich Liebeskummer habe oder einfach reden will“, sagte ich, „aber als Mann geht er für mich gar nicht.“ Ich brauchte das ganze Programm mit weichen Knien und feuchten Händen. Allerdings kam ich bei Frank nie auf die Idee, mich zu verbiegen oder ihm etwas vorzuspielen, was ich rückblickend immer tat, wenn ich verliebt war. Im Sommer 2011 erreichte ich in Sachen Liebe meinen Tiefpunkt. Inzwischen 39, schrillte meine biologische Uhr immer lauter. Kurz entschlossen meldete ich mich zu einem Lifecoaching an, diesmal als Teilnehmerin. SOS-Krisenhilfe. Was ich nicht ahnte: Frank war als Co-Trainer für mein Lebensrettungs- Seminar gebucht. Ich freute mich, ihn zu sehen. Es machte mir nichts aus, mir vor ihm die Blöße zu geben. Dann das: Gegen Ende des Seminars schlug mir die Leiterin vor, ich solle doch versuchen, mich bis Ende der Woche mit jemandem zu verloben. Wie bitte? Ein Witz? Mit wem sollte ich mich denn verloben? „Schreib dir eine Liste mit Männern, die in Frage kommen, und dann siehst du weiter.“ Irgendwie gefiel mir die Idee, so absurd sie auch schien, und ich überlegte sofort, wen von meinen Bekannten ich aufschreiben könnte.

Also beschloss ich, das Spiel mitzuspielen. Es war Zeit, das ewige Ich-finde-keinen- Mann-Thema offensiver anzugehen. Und ich hätte noch lange dagestanden und über möglichen Kandidaten gegrübelt, als Frank auf mich zukam. Er legte seinen Arm um mich und sagte: „Wie wäre es denn mit uns – willst du dich nicht mit mir verloben?“ Mein erster Gedanke: Hat er das wirklich gesagt? Und dann: Was habe ich zu verlieren? Dieser Mann hat es wie ich satt, auf die große Liebe zu warten, auch er möchte eine Familie – warum es nicht einfach riskieren? Dazu muss ich sagen, dass an diesem Wochenende noch etwas passierte: Mein Ego ergab sich und verabschiedete meine elfenbeinturmhohen Erwartungen an den romantischen Beginn einer Liebe.

Frau mit schlimmen Liebeskummer© iStock/Thinkstock/kiatipo
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In den letzten Jahren wünschte ich mir nichts mehr als einen Mann, der mich will, nicht nur für zwei Nächte, sondern ganz. Bei dem ich endlich mal locker lassen kann. Einer, der mir guttut. Ich brauchte mich nur darauf einzulassen. Wie im Rausch hörte ich mich stammeln: „Ja, warum nicht?“ Am Ende war es keine rationale Entscheidung, eher ein wilder Entschluss aus einem Ausnahmezustand heraus, aber es fühlte sich richtig an. Tja, und dann packte Frank seine Tasche und fuhr nicht zurück nach Düsseldorf. Sondern zog in meine Münchener Wohnung ein.

Wenn man zum ersten Mal neben einem Mann aufwacht, den man für diese Rolle nie in Erwägung gezogen hat und weiß, der bleibt jetzt, fühlt sich das seltsam an. Wie Frank roch, wusste ich, denn an irgendeinem weinseligen Abend haben wir uns mal ein bisschen geküsst und mussten dann beide über diese Albernheit kichern. Heute standen die Dinge anders, denn schließlich gab es dieses Versprechen. Durch unseren Job wissen wir beide außerdem, wie Nähe entsteht, nämlich über regelmäßigen Körperkontakt. Daraus wiederum entwickelt sich Bindung – und mit ein bisschen Glück sogar Liebe. Also hatten wir Sex, jeden Tag. Trotz mangelnder Verliebtheit machte es Spaß. Und wurde immer besser.

Es fehlt der Funke

Doch noch immer fehlte mir der Funke, diese nimmersatte Sehnsucht, wenn der andere abwesend ist. Würde sich das jemals einstellen? Unser Zusammenleben klappte. Sagen wir es so: Ganz ohne rosarote Brille mühten wir uns einerseits im Alltag an unseren Macken ab und freuten uns umso mehr, wie gut es ansonsten mit uns lief. Im Herbst 2013 fuhr ich beruflich nach Hawaii, eine Umgebung, die eigentlich keine Wünsche offen lässt, aber irgendetwas stimmte nicht, und mit einem Mal wusste ich, was es war – ich vermisste Frank! Da wurde mir zum ersten Mal klar, dass ich ihn liebe. Lange habe ich nicht für möglich gehalten, dass Liebe langsam wachsen kann, wenn man sich jemanden sucht, der wirklich zu einem passt. Und nicht unbedingt den, der kurzzeitig Herzrasen verursacht.

FRANK-THOMAS:

Alles änderte sich, als diese Liste mit den Verlobungskandidaten ins Spiel kam. Bis dahin sah ich die Situation aus rein professioneller Sicht – Susanne ließ sich coachen, um ihrem Ziel, eine Familie zu gründen, endlich näher zu kommen. Da kannte ich sie schon seit über drei Jahren. Gut genug, um zu wissen, dass ich sie als gute Freundin nie missen, aber nicht morgens im Bad um mich haben will. Jetzt sollte sie aufschreiben, welche fünf Männer das Zeug dazu hätten. Und einen direkt fragen. Ich assistierte zufällig bei dem Seminar. Mehr nicht. Bis die Liste ins Spiel kam – und ich mich fragte: Stehe ich auch drauf, komme ich für sie infrage? Wahrscheinlich reizte mich die Situation, vielleicht kitzelte sie meinen Wettbewerbsinstinkt.

Von dem Moment an jedenfalls änderte sich mein Blick auf Susanne. Sie schien verzweifelt, aufgelöst geradezu, ich kannte ja sämtliche ihrer Beziehungsversuche und gab ihr auch privat gern Ratschläge, wenn wieder einer haarscharf an ihrem Lebenskonzept vorbeigeschrammt war. „Du musst dich eben irgendwann entscheiden

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und den Willen entwickeln, eine echte Beziehung zu bauen. So was lässt sich entwickeln“, hatte die Seminarleiterin zu ihr gesagt. Wahrscheinlich hatte sie recht. Obwohl ich auf der anderen Seite stand, fühlte ich mich angesprochen. Im Grunde ähnelte meine Lage der von Susanne total. Und die einzige Frau weit und breit, die ich richtig klasse fand, stand drei Meter von mir entfernt. Plötzlich sah ich meine Felle davon schwimmen – wollte ich in der dritten Reihe sitzen, wenn diese Frau heiratete?

Das Absurde an der Situation war, dass ich nicht in sie verliebt war. Aber ich wollte eine Beziehung mit einer tollen Frau, eine Familie, und vielleicht konnte ich es ja noch lernen, sie zu lieben. Die Vorstellung von uns beiden als Paar versetzte mich in Aufruhr. Als ich es nicht mehr aushielt, nahm ich all meinen Mut zusammen und machte ihr geradeheraus einen Antrag. Diesen Moment werde ich wohl nie vergessen, wie sie da in meinen Armen wegsackte und mich noch zehn Mal wiederholen ließ: „Ja, ich meine das ernst, wirklich.“ Mit Sicherheit das Verrückteste und Beste, was ich jemals getan habe. Und dann überschlugen sich die Ereignisse.

Ein paar Tage, nachdem ich zu Susanne gezogen war, luden wir unsere Freunde und Familien zu einer Party ein, ohne zu verraten, was wir vorhatten – nämlich, unsere Verlobung bekannt zu geben. Die Vorbereitungen und die damit verbundene Aufregung kompensierten ein bisschen das, was uns beiden fehlte: Das Verknalltsein. Dafür fühlte ich mich wie ein Kind kurz vor seinem Geburtstag. Wir hatten uns auf ein echtes Experiment eingelassen, und das kribbelte auch ganz schön. Nur ein paar meiner besten Kumpels habe ich sofort eingeweiht, einige reagierten überrascht und erfreut, einer riet mir ab und warnte mich vor dieser Entscheidung.

Konnte ich es ihm übelnehmen? Auf der Party lösten sich dann alle Zweifel in Luft auf. So selbstverständlich traten wir da schon als Paar auf, dass kein Außenstehender an uns gezweifelt hätte. Auch wenn die erste Zeit unserer Beziehung nicht immer einfach war. Da wir den Rausch der Verliebtheit einfach übersprungen haben, nahmen wir den anderen gleich in seiner Realversion wahr. Das kann manchmal ernüchternd sein, spart aber auch die Enttäuschung, wenn das Hormonfieber nachlässt. Ich gebe zu: Da musste in der ersten Zeit viel verhandelt und unser Pakt, gemeinsam ein Leben aufzubauen, immer wieder erneuert werden. Am Ende knirschte es

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bei den üblichen Kleinigkeiten – mich machte ihre Unordnung kirre, dem Bad rückte ich erst mal mit sämtlichen Mitteln zu Leibe. Sie meckerte, wenn ich am Wochenende früh aufstand und in der Küche herumlärmte. Auf der anderen Seite konnten wir stundenlang reden, lachen und schmiedeten Zukunftspläne. Dass ich Susanne liebe – mich also doch unbemerkt in sie verliebt habe – wurde mir zum ersten Mal bewusst, als wir kurz vor Weihnachten 2011 in unserer neuen gemeinsamen Wohnung standen. Vom Schlafzimmer aus ging der Blick ins Grüne, ich fühlte mich wie ein Dachs, der endlich die perfekte Höhle für den Winter gefunden hat – und dazu das passende Pendant. Mir lief das Glück in Schauern den Rücken runter.

Genau ein Jahr später, am 21.11.2012, kam unser Sohn Amadeus zur Welt. Er hat uns noch viel enger zusammengeschweißt und nicht so gestresst, wie ich das oft von anderen Eltern höre. Vielleicht hängt es damit zusammen, wie dankbar wir dafür sind, wie alles gekommen ist. Dass wir mutig waren und uns einfach darauf einließen.

DAS BUCH ZUR GESCHICHTE

Susanne Wendel und Frank-Thomas Heidrich haben ihre außergewöhnliche Geschichte aufgeschrieben. Nachzulesen in: „Wie wär’s mit uns beiden?“, Horizon, 216 Seiten, 15,90 €

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