
Diese Menschen haben kein tolles Eckbüro mit tiefen Fenstern. Sie haben keinen Dienstwagen, keinen Jahresurlaub, keine teuren Designerklamotten. Dafür brennen sie für ihre Arbeit und lieben ihre Freiheit. Wir sprechen hier über einen Trend, der sich ausbreitet: Immer mehr pfeifen aufs Monatsgehalt und suchen in ihrem Job lieber Sinn und Selbstbestimmung. Die einen schimpfen über die Faulheit der sogenannten „Generation Y“, die sich offenbar mehr für ihre Freizeit als für die Karriere interessiert. Die anderen führen an, dass man eh umdenken müsse, schließlich gebe es keine Jobs auf Lebenszeit mehr.

Im Gegenteil: Ehe man es sich als Angestellter versieht, wird man gefeuert, muss sich selbstständig machen und allein sein Glück suchen. Wir haben uns einmal umgesehen und Menschen mit klangvollen Berufsbezeichnungen und Minus auf dem Konto gefunden, die schlicht keine Lust mehr haben, sich in ihrem Job zwischen Chef und Stechuhr versklaven zu lassen. Wir fragten sie, wie hoch der Preis der Freiheit ist – und wie glücklich sie mit ihrem Leben sind. Eines sei verraten: Sie sind sehr glücklich.
Anni, 30, und Jule, 31, gründeten ein Start-up-Unternehmen, das (noch) kein Geld bringt
Wir arbeiten seit sieben Monaten sechs Tage pro Woche – und können trotzdem Miete und Lebensmittel noch nicht abdecken. Die Ersparnisse halten uns im Moment noch über Wasser. Das mag hart klingen, aber wir glauben an unser Projekt. Vor knapp einem Jahr kam uns in einer Bar (und unter Wodka-Einfluss) die Idee, ein Online-Magazin für Singles zu gründen. Cool sollte es sein – und kostenlos. Für die Liebe sollte man kein Geld bezahlen müssen. Wir schnappten uns befreundete Singles und porträtierten sie. Wenig später explodierte unsere Seite imgegenteil.de: Nach kurzer Zeit lagen hunderte Bewerbungen auf dem Tisch. Mit dem Projekt nahmen wir uns die Freiheit, das zu tun, was uns glücklich macht – und das ist mit viel Mut und noch mehr Arbeit verbunden. Aber dafür werden wir belohnt: Mit Freude, Liebe und Glück. Jedes Mal, wenn wir einen Single zu Hause besuchen und wir mit selbst gebackenem Kuchen empfangen werden oder die Worte „Dank euch habe ich mich verliebt“ hören, merken wir, dass wir das Richtige tun. Weil es sich richtig anfühlt. Eigentlich wissen wir doch alle, dass das eigene Glück nicht vom Kontostand abhängig ist. Und falls das Geld doch mal knapp werden sollte, haben wir Familie und Freunde, die uns bekochen.

Ich möchte kein Leben im Überfluss führen, fahre viel Fahrrad und wohne in einer WG. Das war nicht immer so: Als ich noch als Werbekauffrau fest angestellt war, musste ich mir nie Gedanken um meinen Kontostand machen, habe gerne mal Geld für Kleidung auf den Kopf gehauen. Bis ich mich für die Selbstständigkeit entschied und meine Agentur eisenschenk kommunikation gründete. Ich stelle die Freude am Job über die materiellen Dinge. Außerdem bin ich flexibler und kann Aufträge annehmen, die mir Spaß machen. Mir ist Nachhaltigkeit wichtig, deshalb setze ich gerade alle Energien in mein Herzensprojekt, den Kiezladen Blank (kiezladen-blank.berlin), in dem man unter anderem Lebensmittel unverpackt kaufen kann. Shopping-Orgien und 30 Paar Schuhe brauche ich genauso wenig wie ein Viersternehotel, wenn ich verreise. Das mache ich übrigens immer noch, sobald es finanziell möglich ist. Aber eben low budget. Frankas Interbetseite finden Sie unter indiegogo.com
„Das Risiko ist immer da" Chantal, 31, ist Malerin und Grafik-Designerin
Ich werde oft gefragt, ob ich das freiwillig mache – malen. Ja, sicher! Seit ich denken kann, will ich Künstlerin werden. Vor drei Jahren verkaufte ich mein erstes Bild an ein Museum – ein Ritterschlag. Die Realität ist allerdings ernüchternd – und das Risiko ist immer da. Oft frage ich mich: „Wie geht es weiter?“ Dann klingelt das Telefon, und meine nächste Miete ist gesichert. Ich wohne recht günstig, meine Möbel stammen aus meinem Freundeskreis, ich jogge um die Alster, anstatt Mitglied eines überteuerten Fitnessstudios zu sein. Die fehlende Regelmäßigkeit beim Einkommen bringt mir aber auch genau die Freiheit, meinen Tag individuell zu gestalten – und das genieße ich wirklich sehr. Infos: chantal-maquet.com

„Für mich reicht es", Matthias, 34, arbeitet als Musikproduzent und Komponist am Nr.-1-Hit
Mir ist wichtig, dass ich machen kann, was ich will – auch wenn ich dafür oft eine 60-Stunden-Woche reißen muss. Wenn ich eine CD produziere, dauert das ein halbes Jahr. Und selbst dann weiß ich nicht, ob es ein Erfolg wird. Trotzdem: Die Kreativität muss raus, das kann ein üblicher Bürojob nicht leisten. Durch einen festen Nebenjob als Lehrer an einer staatlichen Musikschule für soziale Brennpunkte ist meine Miete gesichert. Ich verdiene zwar nicht im Überfluss, aber es reicht. Ein Urlaub ist auch mal drin. Ich habe bisher keinerlei Rücklagen. Ich hoffe, ich lande mal einen großen Hit. Und so lange komponiere ich einfach fleißig weiter. Matthias Internetseite finden Sie unter matmoti.de
Esther, 37, verdient als Schauspielerin nicht die Welt

Ganz ehrlich: Existenzängste begleiteten mich schon immer. Als freie Theaterschauspielerin werde ich auf Projektbasis engagiert, habe also kein vorhersehbares Einkommen. In diesem Beruf lebt man oft am Rande des finanziellen Minimums, deshalb verschwende ich viel Energie darauf, mir Sorgen über meinen ganz normalen Lebensunterhalt zu machen. Manchmal möchte ich alles hinschmeißen und denke: „Dann werde ich eben Prinzessin.“ In dieser Branche wird man halt nicht immer anständig bezahlt. Und trotzdem würde ich keinen Job annehmen, bei dem mir zwar 5000 Brutto sicher sind, aber mein Herz nicht aufgeht. Theater ist meine Liebes-Botschaft an die Welt, meine Form der Auseinandersetzung und meine Verbindung zu ihr. Ich wünsche mir, dass Initiativen wie „art but fair“, die sich für die Rechte freier Künstler stark machen, Erfolg haben und wir unsere Arbeitsbedingungen verbessern können. Erfüllt sich dieser Wunsch nicht, gibt es für mich aber keine Alternative zur Schauspielerei. Dieser Augenblick, in dem man Emotionen beim Zuschauer weckt, das ist etwas, was mir kein anderer Job bieten kann. Das möchte ich nicht missen.