Networking - der neue Trend

Networking - der neue Trend

Gerade für Introvertierte ist Netzwerken der Horror. In der Londoner School of Life lernt man, wie sich die Kontaktscheu überwinden lässt. PETRA-Reporterin Judith-Maria Gillies war bei einem Seminar dabei und hat die besten Tipps und Erkenntnisse an Land gezogen

networking-der-neue-trend© Hero Images/Corbis
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Neugierig blicke ich mich im Seminarraum um. Man könnte meinen, ich wäre auf einer kleinen hippen Party mit lauter Thirtysomethings gelandet, die meisten im Londoner casual chic: Hipster mit Nerdbrillen, Businesshemden und Rucksäcken. Frauen in Lederjacken und Ankleboots, bei einem Glas Wein in Gespräche vertieft. Schüchterne Menschen, denen es schwerfällt, mit anderen in Kontakt zu kommen, stellt man sich anders vor.

Doch die 33 Menschen hier, zwei Drittel davon Frauen, sind Teilnehmer des Workshops „Networking for People who don’t like Networking“ – ein Seminar für Leute, die Networking hassen. Zum Beispiel Emily Horn, eine blonde Endzwanzigerin in Bluse und Midirock. Mit ihrem offenen Lächeln kann sie doch bestimmt leicht Türen öffnen, denke ich. Aber nicht genug, findet sie. „Ich will mich einfach sicherer fühlen im Umgang mit Menschen“, sagt die studierte Anglizistin. Als Leiterin des Stiftungsvermögens am National Theatre ist sie auch fürs Fundraising zuständig. „Da zahlt sich Networking auch in Geld aus.“

Auch Richard Buffoe-Djan scheint äußerlich der Gegenentwurf des Mauerblümchens zu sein: Mitte 30, trainiert, gegelte Frisur. „Ich weiß oft nicht, wie ich das Eis brechen soll und eine gemeinsame Ebene finden kann“, erzählt der Internetberater. Eine weitere Teilnehmerin, Rosalind Sherlock-Jones, Nachlassverwalterin bei der Great Ormond Street Children’s Charity, ist neu in ihrem Job. „Da muss ich auf völlig fremde Menschen zugehen“, sagt die 49- Jährige. „Zur Zeit fühle ich mich dabei genauso unwohl wie beim Speeddating.“ Dieses Gefühl der Beklommenheit kennen alle Teilnehmer. Sie arbeiten in der Fashion- oder Finanzbranche, in Design oder IT, bei Start-ups und in Konzernen, sind Berufsanfänger, Professionals oder Teamleiter. Und sie fühlen sich unwohl in ihrer Haut, wenn es darum geht, ihre Netze auszuwerfen und nach neuen Kontakten zu fischen.

Genau wie unsere Seminarleiterin Tazeen Ahmad, eine bekannte TV-Journalistin bei britischen und US-amerikanischen Sendern wie BBC oder NBC. „Hi“, begrüßt sie uns, „Ich heiße Tazeen – und ich bin introvertiert.“ Ein bisschen wie bei den Anonymen Alkoholikern. Und sie greift gleich alle Vorurteile auf, die gegen die Zurückhaltenden dieser Welt so kursieren. Still seien diese und scheu, oft kämen sie gar als arrogant rüber. „Dabei verbringen wir Introvertierten nur viel Zeit mit uns allein, „nicht weil wir die Gesellschaft von Leuten hassen, sondern weil wir den Rückzug brauchen, um neue Energie zu sammeln.“

Ein zustimmendes Raunen geht durchs Publikum. Gleichgesinnte, die ungern in Großraumbüros arbeiten oder ihre Gedanken in Meetings hinausposaunen oder nach Feierabend beim After-Work-Bier lockere Konversation betreiben. Ahmad bricht eine Lanze für die Schüchternen dieser Welt. Schließlich gehört nach neuesten Studien rund die Hälfte der Menschheit dazu. Networking hat bei ihnen einen schlechten Ruf. „Es steht im Verdacht, Fake zu sein, kein echter Gedankenaustausch nur oberflächliches Blabla“, so die Expertin.

Um das zu verdeutlichen, sollen wir als erstes alles nennen, was wir mit Networking verbinden. „Unbeholfen“, ist das erste Wort, das fällt, gefolgt von „peinlich“, „frustrierend“ oder „sinnlos“. Schnell füllt sich das Flipchart. Bei der Übung ist keiner zurückhaltend. Alle Teilnehmer melden sich, um noch ein Wort, ein Gefühl beizusteuern. Networking wird als „künstlich“ und „rätselhaft“ empfunden, sogar als „bedrohlich“ und „erzwungen“, aber auch als „notwendig“ und „einflussreich“. Networking ist ein Begriff, der stark von Ängsten geprägt ist. „Zu Unrecht“, wie Tazeen Ahmad sagt. Sie versucht, unser Bild zu ändern. Indem sie uns erklärt, dass gerade Introvertierte eine besondere Gabe fürs Networking haben.

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„Unsere Zurückhaltung und Sensibilität können wir hier als Stärken ausspielen“, ist Tazeen Ahmad überzeugt. Welche Stärken das sein könnten, fragt sie in die Runde. „Gut zuhören können.“ Stimmt. „Authentisch sein, nichts vorspielen wollen.“ Ja. „Sensibel auf andere eingehen.“ Unbedingt. „Das alles sind Eigenschaften, die uns enorm helfen.“ Schließlich gehe es beim Gewinnen neuer Kontakte immer darum, eine gemeinsame Wellenlänge mit dem Gegenüber zu finden.

Das Thema trifft einen Nerv. Seminare à la „Networking für Introvertierte“ gehören längst zum Standardprogramm der School of Life. 2008 gründete der Philosoph und Bestsellerautor Alain de Botton diese Schule für emotionale Intelligenz. Mittlerweile hat sie Ableger in sieben weiteren Hotspots der Welt – von Amsterdam bis São Paulo. Es werden Kurse und Therapien zu jenen Fragen des Lebens angeboten, die nicht in der Schule beantwortet werden: Fragen zu Beziehungen, Karriere, Gefühle, zur Gesellschaft. Die School of Life ist eine Schule für Suchende nach dem Sinn und dem Selbst – die Kosten liegen zwischen 63 und 2200 Euro, vom Abendkurs bis zum Jahres-Abo. Top-3-Bestseller sind „Finde den Job, den du liebst“, „Wie man besser kommuniziert“ und „Wie man den richtigen Partner findet“.

Zum Jahreswechsel, der Hochzeit aller guten Vorsätze, stand ein Fünf-Tages-Workshop „New Year Intensive“ auf der Agenda, im Januar der Workshop „Happy new You“. Der Hauptsitz der Londoner Schule liegt mitten im quirligen Stadtteil Bloomsbury – zwischen Falafel-Shops und Friseuren, Delikatessen-Geschäften und Design Factorys. Auf die Teilnehmer wartet nun die ultimative Feuerprobe: der Smalltalk. Die angeblich so lockere Plauderei über unverfängliche Themen ist für die meisten von ihnen ein rotes Tuch. Es fallen Wortmeldungen wie „albern“ und „trivial“. Das Gegenteil davon, der Bigtalk, also der Austausch über Gehaltvolles und Persönliches, hat in unserer Runde dagegen einen wesentlich besseren Ruf. Die Kunst sei es nun, so unsere Trainerin, beim Smalltalk ein Thema zu finden, mit dem man in den Bigtalk hinübergleiten kann. Meine Gesprächspartnerin ist Katie Nugent, 27, blonder Bob, roter Lippenstift, offenes Wesen, internationale Trainerin bei der Kosmetikfirma Lush.

Wir reden darüber, wie wir auf das Seminar aufmerksam wurden, mit welchen Verkehrsmitteln wir hergekommen sind, was wir beruflich machen. Schnell wollen wir aus gegenseitigem Interesse tiefer einsteigen – aber wir dürfen ja nicht. Also bekämpfen wir unsere Neugier und reden noch ein bisschen über die schöne Dekotapete hier und über Lippenstifte. Nach fünf Minuten werden wir von der Seminarleiterin erlöst.

Bei den Männergesprächen um mich herum habe ich etwas über Fußball, Rugby und „Star Wars“ aufgeschnappt. Da hätte ich außer „Oh! Ah! Wie interessant!“ nicht viel beisteuern können. Notfallthemen für solche Fälle: die jeweilige Location, das Essen, die Vorträge des Tages und das Wetter. Beim Bigtalk soll tiefer gegraben werden. Rebecca Ross, Schnitttechnikerin bei einer großen Modefirma, ist wie ich Einwanderin in England. Sie aus Neuseeland, ich aus Deutschland. Zwei Fremde in London, das schweißt zusammen. Unsere Gesprächsscheu ist schnell abgelegt. Wir schwärmen uns gegenseitig von den Möglichkeiten hier vor – und stöhnen kurz danach über das Tempo, die Wuchermieten, die beruflichen Ansprüche, die die Stadt an uns stellt. Äußerst verbindende fünf Minuten.
Ahmad empfiehlt, sich für jedes Event konkrete Ziele zu setzen. Sechs Leute pro Veranstaltung anzusprechen, drei Visitenkarten einzusammeln und dann aber auch wirklich die Kontakte zu pflegen. Katie Nugent, die Trainerin bei Lush und nach eigener Aussage ein schüchterner Mensch, plaudert beim Verlassen des Seminars ganz munter mit zwei anderen Frauen. Was sie mitnimmt? „Dass ich meine Zurückhaltung auch als Stärke einsetzen kann. Das wird mir bei künftigen Zusammentreffen die Scheu nehmen“, ist sie überzeugt.

Auch Richard Buffoe-Djan zieht positive Bilanz. „Viele Leute in einem Raum haben mir früher Angst gemacht“, gibt er zu. „Jetzt habe ich gesehen, dass es viele Menschen gibt, die ähnliche Schwierigkeiten mit dem Networking haben. Und das hat mir die Scheu davor genommen.“

Ich blicke in meine Brieftasche: vier neue Visitenkarten. Und noch drei neue Handykontakte. Nicht schlecht. Als ich mich beim Zusammenpacken umsehe, fällt mein Blick noch einmal auf die Beamer-Leinwand. „Keep calm and network on“ steht darauf. I’ll do my very best.

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