Mein digitales Ich

Mein digitales Ich

In den sogenannten Social Networks geht das Selfie-Fieber um: Wir knipsen uns selbst und unser ganzes Leben und stellen es im Internet zur Schau. Lustig – oder doch eher fragwürdig?

Selfis und co. Mein Digitales-Ich© nensuria / Thinkstock
Selfis und co. Mein Digitales-Ich

Heidi Klum postet ein Bikini-Foto aus Mexiko auf dem Fotoportal Instagram, Bar Refaeli eins mit Hanteln aus dem Fitnessstudio, Barack Obama grinst vom Rücksitz seiner Limousine – auf Twitter. Nicht nur Promis sind dem Schnappschuss- Wahnsinn im Netz verfallen. Wer sich in den sozialen Netzwerken umsieht, stellt fest: Selfies, wohin das Auge reicht, die Kreativität kennt keine Grenzen. Doch worum geht’s da eigentlich? Sehen und gesehen werden – oder steckt mehr dahinter?

Cara Delevingne© Instagram
Cara Delevigne:

Weil wir es können! Was früher ein IT-Spezialist mühsam basteln musste, schaffen heute Smartphones und das Internet mit seinen Communities. „Noch nie in der Geschichte der Menschheit ist uns die Möglichkeit gegeben worden, uns so leicht global zu vernetzen, Neuigkeiten, Freude und Sorgen zu teilen“, sagt der Kölner Blogger und Social-Media-Experte Ibrahim Evsan. Sich selbst zu inszenieren und nach Aufmerksamkeit zu streben gehört zu den natürlichen Bedürfnissen des Menschen. „Wir sind soziale Wesen, die mit anderen kommunizieren und sich selbst darstellen wollen. Die Möglichkeiten, die uns das Netz heute gibt, kommen uns dabei sehr entgegen“, sagt Astrid Carolus, Medienpsychologin an der Universität Würzburg. Wobei, ganz neu ist das Phänomen ja auch nicht. Schon Könige haben sich in heldenhaften Posen malen und bewundern lassen. Und was damals für Normalos ein Ding der Unmöglichkeit war, kann heute jeder: Ein Foto von der neuen Frisur, dem Hochzeitskuss oder dem Sandstrand, an dem wir uns gerade aalen – das alles posten wir, um gesehen zu werden und (hoffentlich) eine gute Reaktion zu bekommen. „Positives Feedback ist uns enorm wichtig. Wir wollen Teil einer Gruppe sein und von ihr gemocht werden“, so Medienpsychologin Carolus. Es stimmt schon: Wir geben uns sehr viel Mühe zu gefallen, online genauso wie offline.

Bikini Bridge© Instagram
Bikini Bridge:

Und Selfies sind dafür ein wunderbares Mittel. Denn sie transportieren oft mehr als Worte. Wenn ich schreibe, dass ich heute Abend auf einer coolen Party bin und ein Victoria-Beckham-Kleid trage, ist das zwar schön – aber ein Bild liefert den Beweis.

KANN POSTEN SÜCHTIG MACHEN?

Mal ehrlich, wer freut sich nicht über 49 Likes für das neue Profilbild? Und wer hat nicht schon einmal ein Bild hochgeladen, von dem er ganz genau

Cat Beard© Instagram
Cat-Content:

wusste, dass die virtuellen Freunde es gut finden werden? Jeder von uns ist ganz heimlich auf der Jagd nach Likes. „Ich würde dabei nicht gleich von Sucht sprechen. Das Posten von Fotos ist eine Verhaltensweise von vielen – und wie fast alle kann auch diese problematische Züge annehmen. Wenn jemand zum Beispiel sein Selbstwertgefühl nur noch über ein ,Daumen hoch‘ bei Facebook definiert“, sagt die Kieler Psychologin Stephanie Linek. Übrigens, die Furcht vor dem Neuen ist so alt wie die Medienkultur selbst. Was auch kam, das Buch, der Fernseher oder die ersten Handys –alles wurde skeptisch beäugt. „Aber tatsächlich hat keines dieser Medien bisher unsere Kultur gefressen“, so Linek.

Kim Kardashian© Instagram
Kim Kardashian:

Wenn eine Freundin aus dem Urlaub kam, trugen unsere Mütter das Schnurtelefon stundenlang durchs halbe Haus, neugierig auf die Urlaubsgeschichten. Wir dagegen loggen uns heute einfach ein und erfahren, dass unsere Freundin vor drei Stunden gut gelandet ist und sich schon auf den Weg zum Strand gemacht hat. Während sich also unsere Mütter zwei Stunden aus dem Alltag ausklinken mussten, um den Hörer zwischen den geröteten Ohren hin und her zu wechseln, checken wir auf dem Weg zum Bus schnell die Neuigkeiten unserer Freunde. Sehr zeitsparend, aber melden wir uns dann weniger bei den Freunden, weil wir eh schon alles aus dem Netz wissen? Und treibt das auf lange Sicht Freunde auseinander? Astrid Carolus: „Die sozialen Netzwerke verschlechtern nichts. Sie bieten vielmehr Möglichkeiten, die man ganz unterschiedlich nutzen kann. Sie können die Kommunikation sogar verbessern, denn wer beruflich viel unterwegs ist, hat die Möglichkeit, mit Freunden in der Ferne in Kontakt zu bleiben.“

HABE ICH NACHTEILE, WENN ICH „OFFLINE“ BIN?

Es gibt sie, diese „Offliner“, die in keinem Netzwerk unterwegs sind. Für „Facebooker“ macht das die Kommunikation mit ihnen viel schwieriger. Stets

Miley Cyrus© Instagram
Miley Cyrus:

muss man ihre Handynummer und Mailadresse zur Hand haben. Nicht selten gerät da ein Offliner mal in Vergessenheit und erfährt zu spät von der Geburtstagseinladung. „Soziale Medien sind mittlerweile so weit verbreitet und allgegenwärtig, dass man in der Tat häufig abseitssteht, wenn man komplett offline ist“, so Expertin Linek. Besonders wer sich als Jugendlicher dem sozialen Netz entzieht, der hat schlechte Karten. „Er weiß dann oft einfach nicht, was Sache ist“, sagt Psychologin Carolus.

VERPASSEN WIR UNSER LEBEN, WEIL WIR NUR NOCH ONLINE SIND?

Endlich der lang ersehnte Traumurlaub! Sonne und Meer, einfach die Seele baumeln lassen. Tja, aber auch das wollen wir mit unseren Freunden teilen und posten Fotos in den Netzwerken. Die sollen natürlich wunderschön aussehen. Und so rücken wir im Restaurant Teller und Gläser zu einem Gefüge zusammen, posieren zurechtgemacht für ein Bikini-Foto und harren stundenlang aus, bis die Sonne das perfekte Licht wirft. Da kann es schon passieren, dass wir hinter unseren Smartphones den Genuss des Moments aus den Augen verlieren. „Wir haben den Wunsch, besondere Momente festzuhalten und zu dokumentieren“, sagt Expertin Carolus. Ihr Rat: Wir sollten einfach aufpassen, dass wir nicht die Aufmerksamkeit für die eigentliche Situation verlieren. Und einfach auch mal offline gehen.

WER IST WO?

INSTAGRAM Nicht nur das Fotoportal ist sehr jung, sondern auch seine User. Hauptsächlich Popsternchen und Blogger nutzen das Portal, um schnell Erlebnisse zu verbreiten.

FACEBOOK Auf Facebook ist inzwischen jeder: Oma, Opa, Chef und Freundin. Hier bleibt auch nichts unausgesprochen, von politischen Statements bis zur Wohnungssuche.

YOUTUBE Hier gibt’s Clips aus Film, TV und Musik, aber auch von künftigen Popstars. Auf dem eigenen Youtube-Kanal kann jeder seine Fähigkeiten darbieten. Dazwischen finden sich Amateurvideos mit Hunden und Babys.

XING UND LINKEDIN Diese Portale dienen dazu, geschäftliche Kontakte zu knüpfen und zu pflegen. Hier wird mit aussagekräftigen Lebensläufen und beruflichen Erfolgen gepunktet.

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