
An irgendeinem Tag, meist sind wir um die 30, tippt sie uns auf die Schulter und bittet um ungeteilte Aufmerksamkeit — die biologische Uhr. Die innere Uhr nennt man sie. Erst tippt sie zaghaft, dann deutlich, später schrillt sie ins Ohr: Willst du nicht langsam erwachsen werden? An guten Tagen ignoriert man den Weckruf schulterzuckend, an schlechten brüllt man zurück: Nein, ich bin zu jung für Mann, Haus und Kinder!

Vielleicht war es mal so, aber die Zeiten, in denen ein Schnellkochtopf zu einem guten Leben gehörte wie Eiche rustikal oder ein Festvertrag bei einem Unternehmen bis zur Rente – sie sind passé. Die neue Generation lehnt die Vorstellung, einmal sesshaft zu werden, zwar nicht grundsätzlich ab. Aber bis es so weit ist, gibt es die ersten Charterflüge zum Mond. Irgendwie, irgendwo, irgendwann, wie Nena einst sang. Einer Studie des Rheingold Instituts lässt sich entnehmen, dass über die letzten Jahrzehnte bei jungen Frauen eine enorme Werteverschiebung stattgefunden hat. Anstatt auf einen starren Lebensentwurf setzen sie auf ein flexibles Gerüst, das sich überallhin mitnehmen lässt: eine gute Ausbildung, einen erfüllenden Job, finanzielle Unabhängigkeit und ein solides soziales Netz. Zukunftsgestaltung bedeutet eher die Verfeinerung des bereits Erreichten. Immer offen zu sein für alternative Pläne und Wege. Viel erleben, alles mitnehmen – das wirkt attraktiver als die Nummer sicher. Die persönliche Entwicklung steht höher im Kurs als ein Grundstück für das hübsche Eigenheim.
Leichtes Leben in der Schwebe
Ein bisschen klingt das alles nach Aufschieben und der Angst davor, harte Fakten zu schaffen. Der Satz „Das soll es jetzt sein für die nächsten 35 Jahre“ mag unsere Oma glücklich gemacht haben, wir reagieren darauf mit nervösem Augenlidzucken. „In der Schwebe lebt es sich heute einfach leichter“, findet die Psychologin und Autorin Katharina Höftmann. „Einerseits geben wir uns zielstrebig, gleichzeitig verzögern wir unser Erwachsenwerden so lange wie möglich.“ Privat wirkt die 29-Jährige wie ein Paradebeispiel eines durchaus paradox zu nennenden Lebenstrends: Sie pendelt zwischen Israel und Deutschland, ist viel auf Lesereisen und auch sonst jenseits dessen, was man als gesettelt betrachten könnte. Wie fast alle ihre Freundinnen. Als „komplizierte Unkompliziertheit“ bezeichnet Höftmann („Erwachsen oder so – Warum wir irgendwie immer noch nicht wissen, wo’s langgeht“, Heyne, 7,99 €) ihr Leben mit der Verzögerungstaktik.

Warum wollen wir uns auf nichts festlegen?
Eine groß angelegte Untersuchung durch das Bundesfamilienministerium kommt zu dem Schluss: „Das Ziel junger Frauen ist es, ein befriedigendes, ausfüllendes, selbstbestimmtes und abwechslungsreiches Leben zu führen. Sie sind offen für das, was ihnen die Zukunft an Chancen und Möglichkeiten bietet und wollen darauf flexibel reagieren.“ Weiter heißt es: „Sie haben nicht – wie Generationen von Frauen vor ihnen – einen festgelegten, voraussehbaren Lebensplan.“ Ähnliches hat auch die Soziologin Jutta Allmendinger festgestellt: „Die jungen Frauen akzeptieren keine Kompromisse und lehnen jede Form von Abhängigkeit ab, sei es vom Staat oder einem Mann. Sie investieren ihre Kräfte in alle ihre eigenen Wünsche – sind dabei aber sehr selbstkritisch und fühlen sich oft getrieben von den vielen Möglichkeiten."
Wer lieber coole Chancen und Gelegenheiten abstaubt als beleuchtete Glasvitrinen, der spürt auch manchmal den Druck, sich immer wieder neu erfinden zu müssen. Demnach steht hinter dem chronischen Herauszögern eine Mischung aus Wollen und Gar-nicht-anders-können. Katharina Höftmann findet dieses Dasein wie ein Fisch im Meer der Möglichkeiten so schön wie anstrengend. „Wir wurden mit dem Gefühl erzogen, einzigartig zu sein. Unsere Mütter haben uns schon als kleine Mädchen gefragt, was wir essen und welches T-Shirt wir anziehen wollen. Fast alles durften wir mitbestimmen oder selbst entscheiden. Uns stützt ein starkes Rückgrat aus Selbstbewusstsein und Freiheitsdrang. Doch in Zeiten des Facebook-Ichs wächst der Druck, alles aus dem Leben herauszuholen. Buchst du einen Urlaub, dann siehst du gleich, welche aufregenden Ziele andere gerade ansteuern. Und dann fragst du dich, ob du richtig entschieden hast.“ Dasselbe gilt für den Job: Da hat eine Freundin ein tolles Angebot abgelehnt und macht jetzt doch lieber noch einen MBA in San Francisco. So eine Chance kommt nie wieder. Und 394 Facebook-Freunde hinterfragen gleich ihr eigenes Leben. Wäre das nicht auch etwas für mich? „Wir sind halt die Generation der 1000 Möglichkeiten“, meint die Schriftstellerin. „Mit dieser Immer-weiter-Mentalität fällt es einem schwer, einfach mal das gut zu finden, was man hat. Aber ich mag es auch, in Bewegung zu bleiben.“