
Früher ging man in einen Buchladen und flüsterte der Verkäuferin etwas umständlich seinen Wunsch ins Ohr. Mit Pech brüllte sie dann quer durch den Raum: „Wo haben wir noch mal die Selbsthilfebücher für verzweifelte Singles einsortiert?“ Heute ist es einfacher. Wer Rat sucht, klickt ins Internet. Dort finden sich filmische Gebrauchsanweisungen – sogenannte Tutorials – für alle, wirklich alle Fragen dieser Welt. Es gibt Beauty- und Mode-Tutorials, man kann lernen, wie man eine Waschmaschine anschließt oder warum man auf einem Berg keine Kartoffeln kochen kann (siehe YouTube-Kanal „100 Sekunden Physik“). Weitere Videos beschäftigen sich mit Nischenthemen wie „Singen lernen wie ein greogorianischer Mönch“ oder „Meister Yoda als Origami-Figur basteln“ bis hin zu (absoluter Renner bei männlichen YouTube-Usern) „Wie man ihren BH mit nur einer Hand öffnet“.
Die Sinnsuche 2.0
Wer erleuchtet werden möchte, braucht sich nicht mehr durch mehrere Bände gesammelte Lebensweisheiten von Deepak Chopra oder Pater Anselm Grün zu pflügen. Der Sinnsuchende 2.0 abonniert einfach den YouTube-Kanal von Gabrielle Bernstein. Oder folgt ihr auf Facebook und Twitter. Die amerikanische Autorin gilt in ihrer Heimat als eine Art spirituelles It-Girl – und ist unglaublich erfolgreich. Ihr Geheimnis? Die 34-Jährige ist kein zauseliger, von Patchouliduft umwehter Old-school-Guru, sondern eine attraktive junge Frau, die mit beiden Beinen im Leben steht. Und die erzählt, wie sie selber mit Mitte zwanzig auf das Pflaster ihrer Heimatstadt New York klatschte: als Workaholic mit einem Kokain- und Alkoholproblem. Bernsteins Tipps zur Verbesserung der Lebensqualität sind nicht neu. Wohl aber die Art und Weise der Verbreitung: Ihre Sprüche und Motivationsclips poppen auf Laptops, Tablets oder Smartphones auf und treffen so den Nerv der Zeit.
Wer also ein Problem hat, kann im Netz gezielt unter „Howcast.com “ oder „Google Helpouts“ nach Hilfe suchen. Bei fast allen Clips besteht die Möglichkeit, zu den Machern Kontakt aufzunehmen. Gabrielle Bernstein zum Beispiel antwortet jedem, der einen Kommentar auf ihrer Seite hinterlässt. Selbst wenn jemand schreibt: „Ich habe gerade 16 Minuten meines Lebens mit deinem Video verschwendet.“ Ein bisschen irritierend sind nur die Werbebanner, die über den Selfhelp-Clips blinken und zum Shoppen anregen. Vor allem, wenn es im Video um ein Gutmenschen-Thema wie „Warum Verzicht uns reicher macht“ geht. Egal, ob wir jetzt Spanisch oder Gitarre spielen lernen möchten, ob wir wissen wollen, wie man den perfekten Dutt dreht oder den Hamster dressiert – wir müssen dafür nicht mehr aus dem Haus gehen. Bleiben nur noch zwei Fragen offen: Werden wir bald alle herumlaufen wie der kalifornische You-Tube-Star Bethany Mota, deren Stylingtipps weltweit kopiert werden? Und was passiert eigentlich in Zukunft mit der guten alten Volkshochschule?

GABRIELLE BERNSTEIN
„Ich helfe den Menschen, ihre Sicht auf sich selbst und das Leben zu ändern.“ Ihre Clips postet sie auf gabbyb.tv. Mit herfuture.com hat sie ein Portal für Frauen-Netzwerke gegründet. Größter Fan: Talkshow- Queen Oprah Winfrey
BETHANY MOTA
Die 18-Jährige dreht sogenannte „Haul“-Videos, in denen sie nichts anderes macht, als über ihre Shoppingbeute zu plappern. Ergebnis: Ihr You-Tube-Channel hat über sechs Millionen Follower, sie selber durfte eine eigene Modelinie designen
SAMI SLIMANI
Als „Herr Tutorial“ gibt der 24-Jährige Tipps – bis vor Kurzem noch aus seinem Jugendzimmer in Stuttgart. Inzwischen zählt er zu den größten deutschen You-Tube-Stars und startet gerade eine Zweit-Karriere als VIVA-Moderator
TOM MACY
Der New Yorker ist hauptberuflich Barkeeper im Clover Club in Brooklyn, schreibt Kolumnen und produziert Tutorials für das Netz. Seine sympathische Message: Wir sollten öfter mal einen guten Drink genießen. Cheers!
SANNE VLIEGENTHART
Die gebürtige Holländerin lebt in London und stellt regelmäßig neue Bücher vor – mit wachsender Fangemeinde. Über ihr Lieblingsbuch „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ schrieb die 25-Jährige sogar ihre Doktorarbeit.
JENNA MARBLES
Die 27-jährige Amerikanerin hat kein Problem damit, sich im Netz zum Deppen zu machen. Warum auch? Ihre superlustigen Clips werden bis zu einer Milliarde Mal angeklickt. „Ich verdiene mehr, als ich ausgeben kann.“