
Pst, Sie! Heute schon gedopt? Nicht? Ganz ehrlich? Nicht mal einen Espresso macchiato am Morgen? Oder Beauty-Pads gegen Augenringe? Und was war neulich mit dem Energydrink vor der langen Autofahrt – und diesem Enzympräparat, das gute Laune machen soll? Na also: Auch in Ihnen steckt eine kleine Jana Ullrich. Denn Doping ist längst nicht mehr nur ein Thema unter Tour-de-France-Fahrern und anderen Spitzensportlern. Vom Koffein-Kick bis zur Lustpille, vom Anti-Aging-Gel mit Hyaluronsäure bis zum "Harmony“-Tee – wir alle nutzen kleine Helfer, die uns fitter, ausgeglichener und schöner machen. Sven Gabor Janszky, Trendforscher beim Leipziger Thinktank 2b AHEAD, glaubt: Doping wird im nächsten Jahrzehnt noch selbstverständlicher. Vor allem in Form von Lebensmitteln mit Zusatznutzen und legalen Leistungssteigerern fürs Hirn. "Die Optimierung von Körper und Geist war immer ein Ziel des Menschen", sagt er. "Und ich halte das für legitim." Kritischere Töne kommen von Ärzten und Psychologen. So warnt etwa Klaus Lieb, Professor für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Mainz: "In unserer Leistungsgesellschaft haben wir heute nicht nur mehr Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung, wir stehen auch unter permanentem Druck, und die Angst vor dem Scheitern wächst. Wer mit chemischen Hilfsmitteln gegensteuert, gerät leicht in eine Sucht-Spirale." Die wichtigsten Fakten, die spannendsten Fragen: Wie wird sich Doping in unserem Alltag weiter ausbreiten – und wo sind die Grenzen?
Welche Doping-Produkte sind im Kommen?
Guarana war gestern, jetzt gibt’s sogar Schönheit zum Trinken: "Beauty Water" (erhältlich in diversen Online-Shops, 250 ml etwa 3,50 Euro) ist mit dem Zellverjüngungs-Enzym Q 10 angereichert, das sonst vor allem in Hautpflegeprodukten enthalten ist. Und das ist erst der Anfang, sagt Trendforscher Sven Gabor Janszky: "In den nächsten Jahren wird 'Functional Food‘, also Lebensmittel mit Zusatzstoffen, enorm zunehmen – denkbar sind zum Beispiel Joghurts, die schön machen und schnell im Kopf." Auch bei Beauty-OPs geht der Trend hin zu kleinen Eingriffen mit großer Wirkung. Plastische Chirurgen in den USA experimentieren derzeit mit körpereigenen Stammzellen, die die Haut von innen verjüngen sollen.
Dopen Frauen anders als Männer?
Nicht bei der geistigen Leistungsfähigkeit, aber in puncto Körper. Frauen helfen eher der Schönheit nach (High-End-Ampullenkur, Botox), Männer machen die Lance-Armstrong-Nummer. Laut einer aktuellen Studie des Robert-Koch-Instituts nimmt jeder vierte männliche Fitnessstudio-Gänger Mittelchen zum Muskelaufbau, etwa Creatin. Im Bett vertrauen eher Männer den chemischen Lust-Boostern – aber auch, weil eine überzeugende Lustpille für die Frau noch immer nicht erfunden ist.
Wann ist Doping besonders gefragt?
Laut einer aktuellen Studie der Universität Mainz sind Studenten besonders freizügig. Jeder Vierte greift im Prüfungsstress zu Leistungs-Boostern wie hoch dosierten Koffein-Präparaten – Männer häufiger als Frauen, Sportstudenten häufiger als Geisteswissenschaftler. Auch Business-Vielflieger bevorzugen die Reiseapotheke mit Sonderausstattung.
Ist das alles legal?
Es gibt eine große Grauzone. Vor allem im Internet floriert der freie Handel mit verschreibungspflichtigen Medikamenten: Präparate gegen Alzheimer, Parkinson und Narkolepsie setzen Dopamin im Körper frei, bei Gesunden wird dadurch die Hirnfunktion beschleunigt. Auch das Anti-Zappel-Medikament Ritalin wirkt leistungssteigernd.

Und wie kommen wir wieder runter?
Wellnesstee oder Rotwein am Abend – klassische Entspannungshelfer. Aber Sven Gabor Janszky glaubt: "In den nächsten Jahren wird es zunehmend synthetische Stoffe geben, die uns beim Abschalten helfen." Mediziner sehen die Entwicklung mit Sorge: "Wer Körper und Geist immer wieder über die Grenzen der Leistungsfähigkeit treibt, verliert das Gespür für sich selbst. Mögliche Folgen sind Burn-out und andere psychische Erkrankungen", warnt Psychiater Klaus Lieb.
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Wann wird Doping gefährlich?
"Es gibt gute Gründe, etwa unkalkulierbare Nebenwirkungen, warum bestimmte Medikamente nicht frei erhältlich sind", sagt Klaus Lieb. So kann Ritalin beispielsweise zu Schlaflosigkeit und Depression führen. Außerdem bestehe Suchtgefahr. Trendforscher Janszky sieht dagegen eher Chancen für die Zukunft: "Nach meinen Erfahrungen sind etwa 80 Prozent aller Menschen interessiert an Präparaten, die wach, schlau und fit machen – vorausgesetzt, diese haben keine Nebenwirkungen. Dann sollte jeder mündige Mensch auch selbst entscheiden, was er nutzt."
Wird Leistungssteigerung per Pille also ganz normal?
Möglicherweise. Das könnte so aussehen: Während wir schlafen, messen Sensoren unsere Werte wie Herzfrequenz und Hautwiderstand, morgens stehen sie in der Digitalanzeige am Badezimmerspiegel inklusive einer Empfehlung: Diese Lebensmittel solltest du heute zu dir nehmen und mit diesen Präparaten ergänzen. "Wir werden ständig die eigenen Gesundheitsdaten überprüfen, um bei Störungen gegenzusteuern", glaubt Janszky. Ein Zukunftsmarkt und ein Mega-Trend im Forschungsbereich großer Lebensmittelkonzerne.
Sind nur wir Deutschen im Doping-Fieber?
Nein, woanders ist man schon weiter als in Deutschland. Etwa in den USA: Hier sind Präparate wie der hormonelle Stimmungsaufheller DHEA oder der Wachmacher Modafinil im Drugstore zu kaufen, für viele Alltagssituationen sind chemische Helfer eine Selbstverständlichkeit.
Ist Doping nicht unfair?
Heikle Frage. Kreative Geistesblitze im Meeting, Prüfungsergebnisse, straffe Haut – was ist das wert, wenn alles nur gekauft ist? Sven Gabor Janszky sieht das so: "Es ist ein Unterschied, ob man sich in einer Wettbewerbssituation befindet oder nicht. Im Alltag betreiben wir ohnehin ständig Selbst-Optimierung, das fängt schon beim Styling an. Substanzen zur Leistungssteigerung oder für die Schönheit sind nur ein weiterer Schritt." Bleibt ein moralisches Dilemma – das muss aber jeder mit sich selbst ausmachen.