
Dieser Trend ist gar keiner. Zumindest ist er nicht neu, doch der Boom der Natur-Kosmetika weitet sich ständig aus: So finden sich Duschgele aus heimischen Kräutern, Anti-Age-Masken aus exotischen Baumwurzeln oder Shampoos, die mit seltenen Blütenextrakten den Glanz des Haares optimieren, in den Läden – und den Bädern. Traditionelle Häuser der ersten Stunde Wie Dr.Hauschka, Weleda, Florena, Börlind und Lavera stehen heute wie selbstverständlich in Designerbadetempeln. Neue Serien wie Kibio, Bellybutton, Sanoflore, Cure Solution/Yves Rocher oder REN etablieren sich schnell neben den gewohnten Luxusmarken. Denen stehen Firmen wie Neom, Voya oder Snowberry preislich nicht nach.
Natur und Hightech – das gilt längst nicht mehr als Widerspruch, im Gegenteil: Beide bilden für die Zukunft das optimale Pflege-Paar. „Ich nutze alle technischen Raffinessen in den Laboren, um aus pflanzlichen Substanzen nur die aktivsten, reinsten Stoffe zu extrahieren“, sagt Margo Marrone, Pharmazeutin und Homöopathin, die vor zwölf Jahren „The Organic Pharmacy“ gründete, die erste rein organische Pflegelinie. Lionel de Benetti, Leiter der Clarins-Labors, arbeitet mit dem Biologen Bruno Bordenave zusammen, der seit 17 Jahren unter abenteuerlichsten Umständen in Französisch-Guayana die Wirkung von Pflanzen erforscht. Sein Spitzname in der Branche: „Indiana Jones der Kosmetik“. Die von ihm gefundenen Bocoa- Blätter liefern den Anti-Aging-Wirkstoff für „Clarins Multi Régenérante“. Um keinen Zweifel aufkommen zu lassen, was sich in ihren Tuben befindet, nannte die amerikanische Firma Aveda ihre Anti-Aging-Serie mit pflanzlichen Aktivstoffen gleich „Green Science“.
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Doch nicht mehr nur Naturkosmetik- Firmen schwören auf grüne Power. Auch in der klassischen Luxuskosmetik, zum Beispiel von Chanel, Kanebo oder Shiseido, wirkt Natur. Mithilfe von High-End-Techniken weisen diese Firmen genau nach, welche Pflanzenbestandteile wie, wo und warum wirken. So fanden Chanels Wissenschaftler mit ethnobotanischem Ansatz (Ethnobotanik erforscht die Beziehung zwischen Mensch und Pflanzen) in Indonesien den so genannten Bay Cedar Extrakt, heute Schlüsselwirkstoff in „Ultra Correction Line Repair“. Das aus dem Fruchtfleisch der Johannisbrotbaumschoten extrahierte Ceratonia verbessert das Feuchtigkeitsbindevermögen der Haut (in „Hydramax + Active“), und in Vanilla Planifolia aus Madagaskar steckt der Kernextrakt, der eine intensive Zellerneuerung bewirkt (in „Sublimage“).

Dafür entwickelten die Franzosen im Chanel-Forschungszentrum in Sophia Antipolis ein patentiertes Extraktionsverfahren, die Poly-Fraktionierung. Damit gelingt es, sogar sehr aktive Pflanzenmoleküle zu isolieren. Auch für Luxusmarken wie Guerlain und Dior, die bislang nicht gerade als Naturkosmetikhersteller auffielen, schwärmen Ethnobotaniker aus, um seltene Pflanzen zu finden und deren Möglichkeiten für die Schönheit zu scannen. Das ist mühsam, zeitaufwendig und teuer, denn nur rund drei Prozent der getesteten Pflanzen bergen überhaupt Potenzial als Beauty-Wirkstoff. Allein sieben Jahre wurde geforscht, um 30.000 Orchideenarten zu untersuchen, von denen tatsächlich vier spezielle Proteine enthielten, die unsere Langlebigkeitsgene positiv beeinflussen können (in „Orchidée Impériale Crème“ von Guerlain).
Wer Kosmetik für höchste Ansprüche anbieten will, kann auf Natur nicht verzichten, denn trotz High-End-Technik gelingt es bisher in keinem Labor, die hochwirksamen Naturmoleküle biotechnologisch nachzubauen. „Ihr Aufbau ist zu komplex. Man braucht mehr als ein Forscherleben, um Pflanzen zu verstehen“, sagt Patrice André, seit 20 Jahren Ethnobotaniker bei LVMH, dem Luxuskonzern, zu dem die Marken Guerlain, Dior, Kenzo, Givenchy und Acqua Di Parma gehören. So müssen André und Sein Team für die Pflegeserie „L’OrdeVie“ in jedem Jahr wieder aufs Neue genauestens die Triebe der Weinreben untersuchen, um die Schlüsselwirkstoffe zu finden, auf die Dior es abgesehen hat.
In Japan erforscht Kanebo für Sensai traditionell die Kraft der Pflanzen und setzt konsequent auf Natur und Technik. Als geradezu revolutionär gilt die geglückte Verbindung von Aroma-Therapie und -Wissenschaft: Für die „SENSAI Cellular Performance Hydrating“-Linie entwickelten die Forscher „Aqua Floral Fragrance“, einen Pflaumenblütenduft, der dank natürlicher Noten aus Sandelholz, Rose und Jasmin einen entspannenden, beruhigenden Effekt hat; parallel bewirkt das Wahrnehmen des Pflanzenaromas, dass Impulse an das Gehirn gesendet werden und von dort an die Haut, um die Hyaluronbildung anzuregen – sie erhöht tatsächlich ihren Feuchtigkeitsgehalt (in „Hydrachange Essence“, „Hydrachange Cream“ und „Hydrachange Mist“ von Kanebo).
Auch das französische Beauty-Unternehmen Caudalie verwendet neueste Technologien, um für das Anti-Aging- Produkt „Premiere Cru“ das Beste aus Trauben zu gewinnen, die Firma Guhl, um aus Mandeln und Weizen spezielle Proteine zu extrahieren, die mit einer neuen Penetrationstechnik geschädigtes Haar reparieren (in „TiefenAufbau“). Beiersdorf verdankt den Labors, dass Moleküle aus der Acai-Beere im neuen „Nivea Hair Care & Styling Blonde Gloss“ Glanz und Geschmeidigkeit ins Haar bringen – bisher war Acai nur als Mittel zum Abnehmen bekannt. Procter&Gamble nutzt den Cassia-Komplex aus einer uralten ayurvedischen Heilpflanze für die Linie „Pantene Pro-VNature Fusion“, Garnier präsentiert „HerbaShine“ mit Bambus-Essenz, damit die Coloration länger hält. Und John Frieda setzt Eukalyptus- und Pfefferminzöl ein, um die Schönheit des Haares von der Wurzel her neu zu erwecken („Root Awakening“).
Auch das wohl spektakulärste Versprechen der Anti-Age-Kosmetik („Jugendliche Ausstrahlung in nur einem Tag“) gründet sich auf die Kraft der Pflanzen: In Shiseidos „Bio-Performance Super Corrective Serum“ soll ein Bio-Wirkstoff gleichzeitig Fältchen, nachlassende Festigkeit und mangelnde Ausstrahlung beheben. Er wird aus der Färberdistel, Hefe und den Blättern des Rose Apple gewonnen, einerwenig bekannten asiatischen Frucht. Gerade der technische Fortschritt macht Es oft erst möglich, die natürlichen Wirkstoffe zu entdecken und in immer effektivere Pflegeprodukte einzuschleusen. Da dürfen wir Kunden uns in den nächsten Jahren noch auf einige Sensationen freuen.